Das Rote Zimmer

Ich hatte einen Termin für ein Zimmer in Berlin-Schöneberg. Ich war pünktlich, klingelte und ein großer, schlanker Mann öffnete die Tür.
„Ich komme wegen des Zimmers.“
„Ja“, sagte dieser große, schlanke Mann und bat mich herein. Dabei drehte er sich begleitet von einer gleichmäßigen und langsamen Handbewegung elegant um seinen eigenen Körper. Das sah sehr professionell aus. Wir gingen über drei Treppenstufen hoch, direkt in einen langen Flur hinein. Ohne Worte folgte ich ihm. Da fiel mir der rote Läufer auf. Offenbar waren wir bereits mitten in der Wohnung. Mit jedem Schritt nahm ich mehr und mehr den Stil und die Farbe der Wohnung wahr. Der breite, lange Flur, die Tapeten sowie auch die Decke waren vollständig rot. Helles Rot, dunkles Rot, gemustertes Rot, hier und da auch mal eine Spur Schwarz und an den Wänden gelblich schimmernde Beleuchtungen. Wie in einem luxuriösen Hotel.

Mit diesen Eindrücken folgte ich ihm bis zu einer Tür, die er sanft öffnete.
„Bitte!“, sagte er.
„Danke“, sagte ich und trat in ein Zimmer. Vor mir stand ein breites, überdachtes Bett, voller Schnörkel, voller Plüsch und wieder mit viel, viel Rot. Romantisch, dachte ich und blieb staunend stehen. Der große, schlanke Mann schritt quer durch das Schlafzimmer auf eine weitere Tür zu, die er ebenfalls öffnete.
„Bitte!“, sagte er erneut mit seiner eleganten Handgeste.
„Ist das hier das Zimmer?“, fragte ich leicht verwirrt, noch bevor ich einen Blick hineinwarf.
„Ja“, war seine nüchterne Antwort. Ich machte einen Schritt nach vorn, blieb auf der Türschwelle stehen und betrachtete das kleine, schlauchförmige und völlig kahle Zimmer. Ich war sprachlos und rettete mich aus meinem peinlichen Schweigen mit der Frage: „Hat das Zimmer auch einen eigenen Eingang?“
Eigentlich war die Frage überflüssig. Das Zimmer war völlig leer, sodass mir ein weiterer Zugang sofort ins Auge gefallen wäre.
„Ja, den gibt es“, war die überraschende Antwort, mit der ich nun wirklich nicht gerechnet hatte. Mit dem Türgriff in der Hand blickte ich suchend hinter die Tür, denn nur dort hätte noch eine weitere Tür sein können. Die gab es aber nicht. Mir wurde komisch zumute und ich suchte nun nicht mehr nach einem Eingang, sondern nach einem Ausgang. Ich wollte möglichst schnell hier raus.

Auf dem Rückweg, im Schlafzimmer, suchte ich nach Worten, um die bedrückende Stille zu unterbrechen.
„Stört es Sie denn nicht, wenn ich nachts um drei Uhr nach Hause komme und jedes Mal durch ihr Schlafzimmer latschen muss?“
„Nein“, war seine wie üblich kurze und für mich nicht mehr überraschende Antwort.
Ich dankte ihm höflich für dieses Angebot, verabschiedete mich und war erleichtert, als ich wieder auf der Straße war.